An diesem Sonntag beginnt der Afrika-Cup und im Gastgeberland Kamerun werden in den nächsten vier Wochen Mannschaften aus 24 afrikanischen Nationen um den Titel spielen. Im Vorfeld hatte es wiederholt Spannungen gegeben – europäische Spitzenclubs wollten ihrer Abstellverpflichtung nicht nachkommen und ihre afrikanischen Stars nicht in das Turnier entsenden. Denn gerade in der Premier League ist nach der kurzen Weihnachtspause die Saison schon wieder in vollem Gange und afrikanische Leistungsträger fehlen ihren Vereinen im Meisterkampf. Doch auch im Gastgeberland ist die Lage unübersichtlich. Wie sich die Coronapandemie auf die Spiele auswirken wird, vermag niemand mit Sicherheit zu sagen. Dabei macht auch die weiterhin angespannte Sicherheitssituation im Land den Organisatoren zu schaffen
Der Afrika-Cup 2019 im Jahr 2022
Der Afrika-Cup ist ein traditionsreiches Fußballturnier. Erstmals im Jahr 1958 ausgetragen, war das Turnier Ausdruck des neuen Selbstbewusstseins der nach Unabhängigkeit strebenden afrikanischen Staaten und des panafrikanischen Geistes jener Zeit. Für den afrikanischen Kontinent hat der Cup mindestens den gleichen Stellenwert wie die EM für den europäischen Fußball oder die Copa América für den südamerikanischen Kontinent. Umso unverständlicher ist daher, wie zäh sich die Verhandlungen mit den europäischen Großklubs um ihre Abstellverpflichtungen regelmäßig gestalten.
Der jetzige Afrika-Cup wurde bereits 2014 an das Gastgeberland Kamerun vergeben. Damit stand fest, dass Kamerun das Turnier erstmals seit 1972 wieder ausrichten würde. Entsprechend groß waren Vorfreude und Erwartungen der kamerunischen Bevölkerung, die von Ausrichterverband und Regierung prompt enttäuscht wurden. Nach einer Inspektion des afrikanischen Fußballverbandes im Jahr 2018 wurde klar, dass das Turnier nicht wie geplant im Jahr 2019 stattfinden konnte. Zwar hatten chinesische Baufirmen für eine rechtzeitige Fertigstellung der neuen, größeren Fußballstadien gesorgt. Allerdings war das Organisationskomitee mit den sonstigen Vorbereitungen uneinholbar in Rückstand geraten. Insbesondere fehlte es an der nötigen Infrastruktur. In den Ausrichtungsorten standen nicht ausreichend geeignete Mannschaftshotels und Trainingsplätze zur Verfügung. Auch die Zufahrtsstraßen zu den Stadien waren häufig in einem miserablen Zustand. Und dann gab es da noch eine Vielzahl an Sicherheitsbedenken, welche die kamerunische Regierung offensichtlich nicht zerstreuen konnte. Dem Ausrichterland Kamerun wurde daher das Turnier für 2019 entzogen und der Cap stattdessen an Rekordgastgeber Ägypten vergeben. Eine nationale Schmach, zumal die kamerunische Nationalmannschaft zum damaligen Zeitpunkt auch noch Titelverteidiger der Trophäe war.
Das Land sollte allerdings eine zweite Chance bekommen und das nächste Turnier im Jahr 2021 ausrichten. Doch dann brachte die weltweite Corona-Pandemie die Planungen erneut durcheinander, sodass der Afrika-Cup 2021 in das Jahr 2022 verschoben werden musste. Das zunächst für 2019 geplante Turnier findet daher erst jetzt – zwischen dem 9. Januar und 6. Februar 2022 statt.
Und allen Widrigkeiten zum Trotz macht sich im Land Vorfreude breit. Viele Bekannte und Freunde berichten mir, wie wichtig das Turnier für ihr Land und sie persönlich ist. Eine Euphorie, die wahrscheinlich nur diejenigen nachempfinden können, die als Fußballfans die Heim-WM 2006 in Deutschland erlebt haben.
Corona-Virus und Fußballfest
Merkwürdig abwesend ist in der kamerunischen Öffentlichkeit allerdings der Corona-Virus und spielt doch eigentlich eine überragende Rolle. Lauf offiziellen Zahlen gab es Land bisher 109.666 Infektionen mit dem Virus. Bei einer Bevölkerung von 25,9 Mio. sind bisher 1853 Kameruner an Corona gestorben. Die offiziellen Zahlen geben allerdings nur ein sehr unvollständiges Bild der Situation. Und dennoch – Kamerun ist von der Pandemie wesentlich weniger betroffen als die meisten Länder der westlichen Welt. Warum der Corona-Virus in großen Teilen Afrikas bisher nicht zu den erwartbaren Verheerungen führt, kann wissenschaftlich noch nicht abschließend beantwortet werden. Eine wichtige Rolle spielt sicherlich das geringe Durchschnittsalter in den meisten afrikanischen Staaten – der Durchschnittskameruner ist z.B. 18,69 Jahre alt. Vermutet wird darüber hinaus eine gewisse Hintergrundimmunität, z.B. durch vorhergehende Infektionen mit afrikanischen Virenstämme. Für das globale Pandemiegeschehen spielt Subsahara-Afrika dennoch eine große Rolle. So wurde vor einigen Tagen bestätigt, dass die neue und zuerst in Frankreich entdeckte Variante B.1.640.2. ihren Ursprung wahrscheinlich in Kamerun hat.
Und so ist zu befürchten, dass das Zusammentreffen von 24 afrikanischen Nationen in Kamerun zu einem neuerlichen Superverbreitungsereignis führt – die Geburt einer neuen panafrikanischen Variante mit globalen Folgen. Bereits jetzt können Spieler aus dem Senegal und Gabun können wegen positiver Tests nicht oder nur verspätet anreisen. Auch Spieler der kamerunischen Nationalmannschaft wurden am Dienstag positiv getestet. Die Vorsichtmaßnahmen der Organisatoren scheinen demgegenüber dem Ernst der Lage nicht gewachsen. Weiterhin sind bei den Spielen 60 % der Zuschauer zugelassen, bei Spielen mit kamerunischer Beteiligung sogar 80 %. Im eigens für den Afrika-Cup gebauten Stade Paul Biya in Yaoundé wären dies immerhin 48.000 Zuschauer. Zwar gilt für die Stadien das 2G+ Regime. Es sind aber Zweifel angebracht, ob sich dieses System tatsächlich durchsetzen lässt. Zurzeit sind nur rund 6 % der kamerunischen Bevölkerung gegen den Virus geimpft. Dies liegt nur zum Teil an der fehlenden Verfügbarkeit des Impfstoffes, denn auch die Impfskepsis ist in Kamerun traditionell groß. Und auch die gut gemeinten Aufklärungskampagnen des Gesundheitsministerium konnten hiergegen bisher wenig ausrichten. Viele haben daher angekündigt, den Spielen fernzubleiben oder sich einfach ein gefälschtes Impfzertifikat auf dem Schwarzmarkt zu besorgen. Auf den zaghaft etablierten Fanmeilen wird man Masken und andere Vorsichtsmaßnahmen ohnehin vergeblich suchen.
Ein Land mit vielen Konflikten
Derweil bereiten den Organisatoren noch ganz andere Probleme Kopfzerbrechen. Der kamerunische Staat zerfällt von seinen Rändern her. Lange der „Stabilitätsanker“ Zentralafrikas sieht sich Kamerun multiplen und zunehmend eskalierenden Krisen gegenüber.
Im Norden des Landes stellt nach wie vor die islamische Terrorgruppe Boko Haram eine Gefahr da. Trotz aller Bemühungen des kamerunischen Militärs ist die Grenze zum Nachbarland Nigeria nicht ausreichend gesichert. Die Terroristen weiten ihren Aktionsradius regelmäßig auch auf das kamerunische Staatsgebiet aus. Es gibt bewaffnete Überfälle, Entführungen, Terroranschläge. Die Organisatoren haben daher darauf verzichtet, Spiel auch in der am meisten gefährdeten Region Extrême-Nord auszutragen. Aber auch die Spielstätten in der Nordstadt Garoua sind nur etwas mehr als 50 Km von der nigerianischen Grenze entfernt. Paramilitärische Aktionen rund um den Afrika Cup könnten gerade der zuletzt geschwächt erscheinenden Terrorgruppe Boko Haram wieder Aufwind bringen.
In jüngster Zeit haben zudem interkommunitäre Konflikte im äußersten Norden des Landes, nahe dem Tschadsee, zu einer Flüchtlingswelle geführt. Zwischen Mousgoum Fischern und arabischen Viehhirten kam es insbesondere in der Stadt Kousseri zu Konflikten um Ressourcennutzung. Die Spannungen halten an und mehr als 100.000 Menschen haben bisher Zuflucht im Nachbarland Tschad gesucht.
Auch in den Regionen Nord-West und Süd-West ist in den letzten Jahren die Gewalt eskaliert. Ab dem Jahr 2016 weitete sich ein lange schwelender Sprachenstreit zu einem blutigen Bürgerkrieg aus. Waren Separationisten früher nur eine kleine, radikale Minderheit, forderten nun immer mehr Menschen in den englischsprachigen Landesteilen die Unabhängigkeit und Gründung eines eigenständigen Staates „Ambazonien“. Die anglophonen Landesteile fühlten sich schon lange in ihrer Sprache und ihrer Selbstorganisation in Bildung und Rechtswesen vom Zentralstaat nicht hinreichend respektiert. Stein des Anstoßes bildeten dann Neuerungen in der Sprachenpolitik der Zentralregierung. Dies führten zu großen Straßenprotesten, die von der kamerunischen Regierung gewaltsam unterdrückt wurden. Eine verhängnisvolle Gewaltspirale war in Gang gesetzt. Mittlerweile kämpfen auf Seiten der Separatisten eine Vielzahl unterschiedlicher Milizen gegen die Regierungstruppen. Nichtregierungsorganisationen beklagen hohe Opfer in der Zivilbevölkerung und schwere Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten des Konflikts. Angesichts der nicht kontrollierbaren Sicherheitssituation haben die Organisatoren daher auf Spiele in der besonders unruhigen Provinzhauptstadt Bamenda verzichtet. Gespielt werden soll aber in der anglophonen Küstenstadt Limbe am Golf von Guinea – eine riskante Machtprobe.
Die Zentralregierung hat die Stadt und angrenzende Regionen in eine Hochsicherheitszone verwandelt. Laut Berichten ist das Militär nicht nur an zentralen Orten präsent, sondern patrouilliert sogar in abgelegenen Wohnsiedlungen. Dies verspricht aber gerade der Zivilbevölkerung keine Sicherheit, denn das Militär ist am Konflikt und den Gewalttaten beteiligt. Immer wieder kommt es zu Kollektivstrafen aus Rache für tatsächliche oder angebliche Rebellen in den Reihen einzelner Dorfgemeinschaften oder Wohnquartiere. Wenigstens die internationalen Spieler und Verbandsfunktionäre sollten durch die erhöhte Militärpräsenz aber verhältnismäßig sicher sein. In der Vergangenheit blieb es bei internationalen Spielen in Limbe ruhig. Diesmal haben die Mannschaften der Gruppe F allerdings bereits Drohnachrichten von den Separatisten erhalten.
Was bleiben wird
Doch was wird von dem Turnier bleiben, wenn die internationalen Gäste wieder abgereist sind? Wenn es gut läuft, wird es der Regierung gelingen, mit der Inszenierung eines panafrikanischen Fußballfests über die eigenen Unzulänglichkeiten und vielfältigen Krisen hinwegzutäuschen. Es sind vor allem die Spiele des Paul Biya - kamerunischer Dauerpräsident seit 1982, zuletzt wiedergewählt in einem von Vorwürfen der Wahlfälschung überschatteten Urnengang im Jahr 2018. Biya feiert dieses Jahr seinen 89. Geburtstag. Den Krisen im eigenen Land steht er zunehmend hilflos gegenüber. Den Großteil des Jahres zieht er sich aus der Öffentlichkeit zurück und lebt abgeschirmt in Europa oder in seinem Geburtstort in der Nähe von Sangmélima. Ob dieses weitgehende Einstellen der Regierungsarbeit ein Zeichen von Schwäche oder Teil einer größeren Strategie ist, darüber sind sich politische Beobachter uneins. Fest steht, dass durch die Ausrichtung der Spiele horrende Kosten auf das Gastgeberland zukommen. Ohnehin in einer prekären wirtschaftlichen Situation, hat vor allem die Corona-Pandemie das Land hart getroffen. Im Zusammenspiel mit neuen Regierungssteuern hat die Pandemie u.a. zu einer erheblichen Teuerung der täglichen Konsumgüter geführt. Für viele kamerunische Familien, gerade in den großen Städten, wird es auch mit durchschnittlichen Gehältern schwer über die Runden zu kommen.
Durchwachsener Ausblick für den kamerunischen Fußball
Nur ein gutes Abschneiden der eigenen Mannschaft wir die kamerunische Bevölkerung mit dem teuren Turnier im eigenen Land versöhnen können. Ein Triumpf der Nationalmannschaft im Afrika-Cup könnte vieles überdecken. Alle Hoffnungen ruhen daher auf den „lions indomptables“, den unbeugsamen Löwen. Die Erwartungen an die Mannschaft um Kapitän und Bayern-Stürmer Eric Maxim Choupo-Moting sind groß. Viele im Land hoffen auf eine Wiederholung des Überraschungssiegs von 2017.
Langfristig wird es vor allem am neuen Verbandspräsidenten und Afrika-Cup Rekordtorschützen Samuel Eto’o liegen, den kamerunischen Fußball in eine neue Zeit zu führen. Lange durch korrupte Funktionäre wie dem ehemaligen kamerunischen FIFA-Vize Issa Hayatou geprägt, hatten zuletzt ehemalige Spitzenspieler versucht, die alte Garde abzulösen. Während die afrikanische Fußballlegende Didier Drogba im Jahr 2020 noch mit dem Versuch scheiterte, Präsident seines Heimatverbands in der Elfenbeinküste zu werden, gelang es Eto’o überraschend im November die Präsidentschaft des kamerunischen Verbandes zu übernehmen.
Hier hat er bereits durch einige spektakuläre Maßnahmen auf sich aufmerksam gemacht. So sperrte er zu spät kommende Mitarbeiter des nationalen Fußballverbands aus, erteilte ihnen eine Abmahnung und ließ sie wieder nach Hause gehen. Die Botschaft war klar – der neue Verbandspräsident erwartet vollen Einsatz und sagt der weit verbreiteten Praxis von Schein- und Versorgungsstellen den Kampf an. Die einfache Bevölkerung liebt Eto’o für solche Aktionen. Aber dort genießt der ehemalige Spieler sowieso Heldenstatus – Qualifikation für das Amt des Präsidenten hin oder her. Es bleibt derweil zu hoffen, dass sich die Amtsführung Eto’os nicht nur in einigen öffentlichkeitswirksamen Ausrufezeichen erschöpft, sondern bald strukturelle Reformen folgen.
Obwohl Afrika immer wieder Spieler von Weltrang hervorgebracht hat, befindet sich der afrikanische Fußball in einem schleichenden Niedergang. Der in den 90ern und frühen 2000ern als schlafende Riese apostrophierte „Fußballkontinent Afrika“, ist nie so wirklich erwacht. Und während andere Kontinentalverbände die Strukturen der Nachwuchsarbeit professionalisiert haben, herrschte hier oft Stillstand. Auch unter jungen Kamerunern ist Fußball weniger präsent und nicht mehr selbstverständlicher Teil des täglichen Lebens. Die Identifikation mit dem Spiel hat nachgelassen. Etwas schlimmeres kann dem Fußball nicht passieren, als dass er den Menschen zunehmend gleichgültig wird.