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Rede zum 8. Mai 2015

Dass ich hier heute stehe und zu euch sprechen kann, verdanke ich ohne Zweifel dem 8. Mai 1945. Dies sage ich, obwohl ich erst 1994, also 49 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges geboren bin und den 8. Mai 1945 nicht persönlich erlebt habe.

Liebe Freundinnen und Freunde,

dass ich hier heute stehe und zu euch sprechen kann, verdanke ich ohne Zweifel dem 8. Mai 1945. Dies sage ich, obwohl ich erst 1994, also 49 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkrieges geboren bin und den 8. Mai 1945 nicht persönlich erlebt habe.

Ich stehe hier aber heute auch als Nachkomme der Familie Fichtmann, einer Familie Berliner Juden und Kommunisten. Einer großen Familie – neben meinen Ururgroßeltern Clara und Leo Fichtmann waren dort ihr sechs Kinder sowie die vierzehn Enkel. Vergilbte Bilder zeigen mir ein immer volles Haus bei gemeinsamen Feiern im Kreis von Familie und Freunden. Daneben war da aber immer auch die Politik. Wie die Eltern waren auch die Kinder „politisch“. Auf die eine oder andere Art waren sie Kommunisten, waren an Arbeit in Partei, Jugendverband oder Arbeitsportverein beteiligt, gingen auf Demos, verteilten Flugblätter und gaben sogar Zeitungen heraus. Von den Söhnen sind auch einige kurze Geschichten und Gedichte überliefert, die neben der politischen auch eine künstlerische Seite der Familie zeigen. Als assimilierte Juden und aktive Kommunisten den Nazis doppelt verhasst, trafen von Beginn an Terror und Verfolgung die Familie hart. Meine Ururgroßeltern wurden von den Nazis umgebracht: Clara Fichtmann wurde in Auschwitz vergast. Leo Fichtmann wurde in Sachsenhausen erschossen. Von ihren Kindern wurden weitere zwei in Konzentrationslagern ermordet, ein Sohn nahm sich das Leben, um diesem Schicksal zu entgehen. Meine Uroma und Oma überlebten nur, weil sie durch einen sogenannten „arischen“ Ehemann und Vater, meinen Uropa, geschützt waren. Keiner kann allerdings heute sagen, wie lange der Rassenwahn der Nazis noch vor sogenannten „deutsch versippten“ Jüdinnen und Juden und ihren sogenannten „Mischlingskindern“ halt gemacht hätte.

 Es steht zu vermuten, dass auch sie ohne das Vordringen der Alliierten den Nazis zum Opfer gefallen wären.

Deswegen sage ich: Für mich ist der 8. Mai 1945 ein ganz persönlicher Tag der Befreiung, der meine Familie, die Kinder und Enkelkinder von Clara und Leo Fichtmann, vor weiterer Verfolgung und Leid bewahrte und aus einem 12 Jahre dauernden Martyrium erlöste. Ich bin fest davon überzeugt, ohne den 8. Mai 1945 würde ich heute nicht zu euch sprechen können.

Nun ist es natürlich nicht so, dass alle Deutschen am 8. Mai 1945 wie die Überlebenden der Familie Fichtmann fühlten und Erleichterung empfanden, dass die Alliierten über den Hitlerfaschismus gesiegt hatten. Im Gegenteil, viele mögen dem dritten Reich nachgetrauert und sich vor der neuen, ungewissen Zukunft gefürchtet haben. Dies ist aber kein Grund, rückblickend nicht von einer Befreiung zu sprechen, eröffnete doch erst der 8. Mai dem deutschen Volk die Möglichkeit einer selbstbestimmten, demokratischen Zukunft.

Gerade das Wort Niederlage, wollen wir daher nicht verwenden, denn was am 8. Mai 1945 unterlegen ist, das war der deutsche Faschismus. Dem Krieg und Terror, den viele Deutsche als Täter, Mittäter und Mitläufer gesät hatten, waren sie selbst zum Opfer gefallen. Der 8. Mai 1945 war also ein Sieg der Menschlichkeit und nicht ihre Niederlage. 

Auch von Kriegsende oder Zusammenbruch wollen wir im Zusammenhang mit dem 8. Mai nicht sprechen. Das NS-Regime ist nicht auf Grund innerer Widersprüche und Widerstände oder wirtschaftlicher und menschlicher Erschöpfung, quasi „von allein“ zu Grunde gegangen. Es bedurfte äußerer Kräfte, um es zu Fall zu bringen. Dieser Krieg endete nicht, er wurde „geendet“. Der Widerstand des NS-Staates ist nicht zusammengebrochen, er wurde gebrochen.

Lasst uns deswegen einmal mehr von Befreiung sprechen. Einem Wort was neben dem Objekt „Dem Befreiten“ auch klar das Subjekt „Den Befreier“ benennt. Dies war neben Großbritannien und der USA vor allem die Sowjetunion. Sie hat für die Befreiung Deutschlands die größten Opfer gebracht. Auf sowjetischer Seite allein fielen 27 Millionen Menschen dem deutschen Faschismus zum Opfer. Es wurden 1700 Städte, 70.000 Dörfer und 6 Millionen Gebäude zerstört. In dem 1418 Tage währenden Kampf brachte die Sowjetarmee der Wehrmacht 72 % ihrer menschlichen Verluste bei. Es entfielen auf die deutsch-sowjetische Front 75 % der zerstörten faschistischen Panzer, 75 % der zerstörten Flugzeuge und 74 % der vernichteten oder eroberten Artillerie. Ohne den heldenhaften Kampf der Sowjetarmee im Osten, hätten die Alliierten im Westen den Widerstand der Wehrmacht nicht brechen können. Unser Respekt vor den Leistungen der Sowjetunion muss daher alle tagespolitischen Differenzen überdauern! (Es gilt das gesprochene Wort)

2 Gedanken zu „Rede zum 8. Mai 2015

  1. Pingback: Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust – Rede vom 27.1.2022 am Loeperplatz – Antonio Leonhardt

  2. Pingback: 27. Januar 2022: Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus! – VVN-BdA Lichtenberg e.V.

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