Am Krisenmanagement der Bundesregierung, ihren Vorbereitungen auf den Ernstfall und dem Zustand des nationalen Gesundheitssystems müssen wir nach dem Ende dieser Krise viel kritisieren. Die wichtigste Aufgabe nimmt Deutschlands politisch Klasse in dieser Zeit aber wahr, den Menschen Halt und Orientierung geben. Die Entscheidungsträger haben ihre Rolle als Krisenmanager angenommen und sich der Verantwortung für die Situation gestellt. Auch wenn einem sonst wenig an politischen Initiativen dieser Regierung gefällt, das sollte man anerkennen.
Kamerun wartet seit dem Ausbruch der Krise hingegen vergeblich auf ein Wort des Langzeitpräsidenten Paul Biya. Aus der Öffentlichkeit ist er seit Wochen verschwunden. Selbst schwer krank, hält er sich wahrscheinlich, wie einen Großteil des Jahres, in der Schweiz oder in Frankreich auf und überlässt die Krise anderen. Die Opposition um den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten Maurice Kamto hatte ihm Anfang vergangener Woche eine Sieben-Tages-Frist gesetzt, um sich gegenüber seinem Volk zu erklären. Nach deren Verstreichen erklärte ihn Kamto am Samstag medienwirksam für amtsunfähig („défaillance du chef de l'État“) und bezeichnet ihn seither als „Phantompräsidenten“. Ein wichtiger symbolisch-politischer Schritt, der juristisch, das weiß der ehemalige Universitätsprofessor und profilierte Staats- und Völkerrechtler Kamto, ohne Folgen bleiben wird.
Derweil ist das Land denkbar schlecht auf eine gesundheitliche Krise vorbereitet. Die Gesundheitsversorgung ist in vielen Teilen des Landes prekär. Und wo es, wie in den großen Städten Douala und Yaoundé, einigermaßen gute Versorgung gibt, ist sie für weite Teile der Bevölkerung nicht bezahlbar. Schon nach wenigen Tagen führen die Schulschließungen, die Kündigungen, die Verkehrsbeschränkungen und die Ausgangssperren zu harten Einschnitten im sozialen und ökonomischen Leben. Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich teilweise verfünffacht. Eine effektive häusliche Isolation von Risikogruppen und allgemeine Kontaktbeschränkungen, wie sie zurzeit in Deutschland praktiziert werden, sind unter den wirtschaftlichen und sozialen Umständen in Kamerun nicht vorstellbar. Eine gut gemeinter, aber viel zu spät aufgelegter nationaler Solidaritätsfond wird daran wenig ändern. Auch die Angebote verschiedener Separatistengruppen, angesichts der drohenden humanitären Katastrophe über einen Waffenstillstand in den anglophonen Regionen zu verhandeln, lässt die Regierung bisher öffentlich unbeantwortet. Die Viren haben französische Expatriés und Auslandskameruner in das Land gebracht – den Preis werden wohl andere zahlen.
Das kollektive Elitenversagen findet in der Corona-Krise seinen Kristallisationspunkt. Es steht zu befürchten, dass es bei weitem nicht bei den bisher bestätigten 650 Infizierten und 17 Toten bleiben wird. Welche Aussagekraft diese Zahlen haben, ist sowieso fraglich. Wenn der Virus in Ländern wie Kamerun Fuß fasst, wird es viele Opfer geben. Mehr als wir uns in Deutschland vorstellen können. Wir müssen endlich begreifen, dass die Corona-Krise mehr als eine nationale Herausforderung ist. Während die Länder des globalen Südens die Corona-Welle auf sich zu rollen sehen, können sie schon jetzt mit dem Schlimmsten rechnen. Die internationale Solidarität war die erste Tote dieser Pandemie
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